passpict.JPG (41356 Byte)                                            Dr. Eberhard Schneider      

öffentlich bestellter und vereidigter    Forstsachverständiger      Fachgebiet: Jagdwesen   (Reg. Präs. Gießen)                    

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DER HASE WIRD 500

Kopie aus: Projekt aDürer, Der Hase wird 500, Projektbüro Kulturprofile

(Kopie aus: Projekt aDürer, Der Hase wird 500, Projektbüro Kulturprofile)

In der zu den Auftaktveranstaltungen zählenden Reihe der Dürer-Vorträge sprach Eberhard Schneider am 20. Juni 2002:

© Copyright 2002 by Dr. Eberhard Schneider (Göttingen, Germany)

Der Feldhase - Zur Naturgeschichte eines Vorbilds zu Dürers Werken

 

Der Hase bei DÜRER birgt ein Rätsel.

Da ist die Köperhaltung, die ihn in einer eher selten eingenommenen Ruheposition zeigt; da sind die Ohren, für einen heimischen Feldhasen zu lang geraten (eher die seines spanischen Vetters) und in sich aber eigenwillig proportioniert. Greift DÜRER mit der Darstellung dieses Tieres einen tief in die Geschichte der Antike reichenden Mythos auf oder findet sich hier ein Ausdruck zu einer Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Veränderungen der Umwelt?

Der Feldhase Lepus europaeus ist keine archaische Art der natürlichen Lebensgemeinschaften Europas, das im Klimaxstadium der Vegetation ja vom Wald bestimmt ist. Er ist ein ursprünglicher Bewohner der osteuropäisch-vorderasiatischen Steppengebiete. Von dort wanderte er, wie vor ihm, mit und nach ihm zahlreiche andere Pflanzen- und Tierarten auch, allmählich vom Südosten her über den pannonischen Raum ein und breitete sich über das vor ihm liegende mittlere und westliche Europa bis jenseits der Pyrenäen aus. Der Wegbereiter war der Ackerbau treibende Mensch. Der anthropogene Sekundärlebensraum der Feldlandschaft mit seinen ökologischen Ähnlichkeiten zur Steppe brachte neue Lebensgemeinschaften hervor, in denen auch der Feldhase seinen Platz einnahm. Er fand eine ökologische Nische und füllte sie aus: einerseits ein pflanzenessender Konsument, andererseits ein stets wachsamer und "rundumsichtiger" Gejagter, Beutetier und Nahrung für andere.

In frühgeschichtlichen Überlieferungen taucht immer wieder der Hase auf. So waren etwa die Skythen in den östlichen Steppen begeisterte Hasenjäger; wegen einer Hasenjagd vergaßen sie sogar den Krieg. Auch bei den Kelten war Hasenjagd ein beliebter Sport für berittene Jagdgesellschaften mit Windhunden, welche schließlich die gehetzten Hasen zerrissen. Neben mancherlei profanen Anlässen findet sich der Hase aber durchaus auch in kulturellen und christlichen Darstellungen, so etwa im Relief der drei Hasen in Paderborn.

Zur Zeit DÜRERs war der Feldhase zweifelsfrei nicht sehr häufig in den Feldfluren anzutreffen. Zur "Blüte" in der Bestandsentwicklung kam er in Mitteleuropa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die kontinuierliche Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge hat die Grundlage dafür geschaffen. Er wurde zum häufigen Tier der Feldlandschaften, gebietsweise zur Landplage erklärt, wenn im zyklischen Auf und Ab des arteigenen Massenwechsels im Mittel alle fünf Jahre es zur Massenvermehrung kam. Über drei Jahrhunderte nahm diese "Erfolgsgeschichte" ihren Lauf, bis dann um etwa 1910 in weiten Teilen Mitteleuropas bei den Feldbewohnern wie Hase oder Rebhuhn eine Wende sich einstellte und seitdem die Bestände ständig rückläufig sind. Waren es einst mehr als zwei Hasen, die in guten Gebieten im Herbst je Hektar anzutreffen waren, so sind es heute in weiten Teilen des Verbreitungsareals kaum noch zehn Tiere je Quadratkilometer: der Feldhase stirbt aus.

Sprichwörtlich zahlreich sind die natürlichen "Feinde" des Hasen. Aber diese müssten längst verhungern, würden sie auf den begehrten aber nun seltenen "Hasenbraten" setzen. Die heimischen Feldhasenbestände sind so sehr ausgedünnt, dass selbst die klassischen Regulatoren in Form von Krankheitserregern und Parasiten nicht mehr wirken. Wohl aber ist es wesentlich der Mangel an seinen physiologischen Bedürfnissen angepasstem Futter. Trotz, oder besser wegen, der Überproduktion an landwirtschaftlichen Kulturpflanzen fehlt es dem Hasen an Nahrung. Seine ursprüngliche Anpassung an den Steppenlebensraum hat er nämlich nicht aufgegeben. Steppen sind fruchtbare Gebiete mit einem breiten Artenspektrum an Gräsern und Kräutern. Aber alle sind angepasst an die nur begrenzte Verfügbarkeit an pflanzenverwertbarem Stickstoff. So dass der nicht nach Wurzeln oder anderen unterirdischen "Stickstoffreservoiren" der Nahrungspflanzen grabende Hase sich mit stickstoffarmer Kost begnügt. Aber gerade die ist in unseren völlig überdüngten Agrarlandschaften selten geworden. Die Mehrzahl der Ackerunkräuter, die wesentliche Nahrung des Feldhasen, sind selten geworden, verschwunden. Dies nicht allein durch den Einsatz an Herbiziden sondern viel mehr durch Überdüngung. Das massenhaft vorhandene Grün der Wiesen und Felder jedoch vermag der Hase nicht als Nahrung zu nutzen, er kann es nicht hinreichend verdauen. So dass man neben den vielen Einzelfaktoren, die unter der "Flurbereinigung" zwecks Schaffung einer maschinengerechten, industriellen Agrarlandschaft zusammen gefasst werden können, Zersiedelung, Verkehrswegen und vielem mehr, insbesondere die tiefgreifende Veränderung in der qualitativen Beschaffenheit des Nahrungsangebots als erhebliche Ursache der drastisch verringerten Lebensraumkapazität für Hasen und andere ähnlich angepassten Pflanzenesser sehen muss.

Freilich findet ein einzelner Hase noch sein Auskommen, für ihn reicht das Angebot an Deckung, Nahrung und er findet sein Wohlbefinden. Kräftig und gut gewachsen sind diese Einsiedler; aber mit dem Nachwuchs hapert es. Waren zu früheren Zeiten die "rammelnden" Hasen, die in großen Hochzeitsgesellschaften über die Felder tobten und den Frühling verkündeten so populär, dass sie Menschen zu mancherlei Bräuchen inspirierten, so wird der Mangel deutlich. Partnerfindung ist für den Hasen heute schon ein Glückstreffer. Aber das gesamte Fortpflanzungssystem funktioniert nicht mehr. Gegenseitige Stimulation, Synchronisation der Trächtigkeit und der Würfe sind das "Rezept", gegenüber den allgemeinen Fährnissen eines Hasendaseins sich zu behaupten. Abgesehen davon, dass Umweltgifte, angefangen von der hohen Nitratbelastung bis zu subtilen Produkten der Chemieindustrie hier ihre fatale Wirkung entfalten, Unfruchtbarkeit bei diesem einstigen "Fruchtbarkeitssymbol" bewirken.

Den Siegeszug des Hasen konnten die reitenden Jäger der Vergangenheit nicht aufhalten. Der Mensch wurde zum Wegbereiter für die Neubesiedlung eines großen Areals außerhalb der ursprünglichen Verbreitung. Aber zwischen DÜRER und heute hatte der Feldhase sein Optimum gefunden. Seine Zukunft liegt nicht nur in der Hand der Landwirtschaft. Vielmehr tragen wir alle mit unseren alltäglichen Emissionen und den ständigen Einwirkungen auf das Ökosystem dazu bei, in dem wir mit dem Hasen an sich eng verbunden sind. Dabei sollte uns bewusst sein: Der Hase ist ein empfindlicher Indikator für den Funktionszustand der Landschaft, insbesondere jenes Teiles, aus dem auch wir unsere Nahrung beziehen. Sein Schicksal ist unser Schicksal; das mag uns DÜRER ganz ungewollt mit seinem Hasen vermitteln.

© Copyright 2002 by Dr. Eberhard Schneider (Göttingen, Germany)

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